30.10.2019 - Seefeld

Reisen for future?!

Die Jugend von heute stellt unbequeme Fragen, weil sie sich um die Zukunft des Planeten sorgt. Welche Antworten hat die Reisebranche für die Generation Z? Eindrücke einer anregenden Diskussion bei den 25. Ammerlander Gesprächen.

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Es verwundert nicht, dass gleich zu Beginn der Veranstaltung der Name Alexander von Humboldt fiel: der große Weltreisende, globale Denker, Forscher und Ökologe, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird. Sein Name ist Sinnbild für die Vorzüge des Reisens wie Weltoffenheit und Begegnung und zugleich der Bewahrung von Natur und Umwelt. Wie das im 21. Jahrhundert gelingen kann, darüber diskutierten am 19. Oktober Experten aus der Tourismusbranche, Politik und Wissenschaft bei den 25. Ammerlander Gesprächen im Literaturhaus München, zu denen der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. in seinem 25. Jubiläumsjahr geladen hatte. Dass man das Rad nicht zurückdrehen kann, darüber waren sich die Anwesenden einig. Es gehe jedoch darum, Fehlentwicklungen zu korrigieren und den Tourismus klima- und umweltfreundlicher zu machen.

Denn die Branche muss Antworten liefern. Die Generation Z, die zwischen 1997 und 2012 Geborenen, sorgt sich um den Planeten – 70 Prozent der Jugendlichen haben Angst vor der Zerstörung der Umwelt, 60 Prozent vor dem Klimawandel, bestätigt die aktuelle Shell-Studie. Diese Angst kanalisiert sich auf der Straße: mit der Friday-for-Future-Bewegung rund um deren Initiatorin Greta Thunberg. Die Reisebranche, so der Tenor der Expertenrunde, muss die Proteste als Signal verstehen – um ihrer eigenen Verantwortung Rechnung zu tragen und um die Kunden von morgen nicht zu verlieren. Denn Nachhaltigkeit und Klimaschutz seien mehr als nur ein kurzfristiger Hype. „Diese Themen prägen diese Generation für ihr Leben“, erläutert Axel Dammer, Geschäftsführer von iconkids & youth international research GmBH in seinem Vortrag. Ob dies auch zu einer grundlegenden Verhaltensänderung führe, wagte der Meinungsforscher indes zu bezweifeln. „Menschen sind emotionale Wesen, sie agieren oft nicht vernünftig.“ Für spätere Generationen auf eigene Bedürfnisse zu verzichten, falle schwer.  

Eine Ansicht, die zumindest die zwei anwesenden 9. Klässlerinnen Hanna und Aurelia, die sich seit einem Jahr in der Münchner Friday-for-Future-Bewegung engagieren, eindrucksvoll widerlegten. Sie haben ihr Verhalten bereits geändert: Hanna verzichtet seit sechs Jahren auf Fleisch und verbringt ihre Sommerurlaube an der Ostsee,  angereist per Bahn. Reisen sei eine tolle Erfahrung, sagt Aurelia, es komme jedoch auf die Wahl des Transportmittels an. Eine Mitschülerin habe ihren Vater überzeugen können für Geschäftsreisen künftig nicht mehr zu fliegen. „Man muss bei sich selbst anfangen. Wir müssen jetzt Opfer bringen für später“. Die beiden Schülerinnen wünschen sich eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Generationen. Ihre Forderungen: Das Pariser Klimaschutzabkommen mit dem 1,5 Grad-Ziel einhalten, Kohleausstieg bis 2030, 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035.

Ein Appell an die Politik. Auch deren Vertreter bei der Ammerlander Runde, Christian Zwanziger, Sprecher für Landesentwicklung und Tourismus der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag sieht diese in der Pflicht.  Die hohen Erwartungen der Jugendlichen spüre er durchaus, der Druck von der Straße sei wichtig im Entscheidungsfindungsprozess. Politik müsse Angebote schaffen: eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur mit Bus und Bahn, nachhaltige Mobilitätskonzepte. Fliegen müsse teurer werden, die Bahn günstiger. "Wir dürfen uns nicht die Frage stellen, ob wir reisen, sondern wie." Dass auch die Reisebranche Klimaschutz als Kerngeschäft begreifen muss, fordert Manfred Häupl, Vorsitzender des Forum Anders Reisen e.V. Der Verband nachhaltiger Reiseunternehmen hat ein Strategiepapier zum Klimaschutz entwickelt. Häupl plädiert zudem für eine CO2-Abgabe mit Zweckbindung, steuerliche Gleichbehandlung aller Treibstoffarten sowie adäquate Kompensation der Treibhausgase nach Gold Standard – hier werden keine Bäumchen gepflanzt, sondern weltweit Projekte unterstützt, mit dem Ziel, deren Energieeffizienz zu erhöhen.

Wie kontrovers allein das Thema der Kompensationsmaßnahmen in der Branche gesehen wird, zeigte die anschließende Diskussion. Von einem Ablasshandel war die Rede, allenfalls von einer Zwischenlösung. Die Klimakompensationen für Flugreisen, so ein Reiseveranstalter, führten im Jahr nur etwa zwei Prozent der Kunden durch. Auch die Pauschalreiseangebote per Bahn würden kaum nachgefragt. Es könne auch nicht allein Sache der Unternehmen sein, Klimaschutzziele umzusetzen. Bislang rein freiwillige Maßnahmen müssten durch eine staatliche Regulierung ersetzt werden – was auch zu mehr Fairness am Markt führen würde. Die Politik, war sich die Runde einig, müsse über entsprechende Restriktionen, Verbote sowie Anreize steuernd eingreifen. Auch diskutiert wurde über attraktivere Angebote der Reiseindustrie für ihre Kunden, bei denen das Verhältnis zwischen Entfernung und Aufenthaltsdauer stimme. Man müsse nicht für einen 3-Tagestrip zum Shoppen nach Dubai fliegen oder zum Strandurlaub nach Australien jetten.

Welche Alternativen es für die durchaus reiseaffine und erlebnishungrige Generation Z auch in Deutschland gibt, darüber wusste Jan Flörcken, Direktor des Haus BergSee des Bayerischen Landes Sportverbands, zu berichten. "Jugendreisen haben ihr Nischendasein verlassen und sind am Markt angekommen. Man muss sich natürlich auf die jungen Kunden einstellen." Was bedeutet: weg von Schlafsälen mit Klappbetten hin zu Zimmern mit WLAN-Ausstattung und Lounge, kostenlose ÖPNV-Verbindungen sowie eine auf die jeweiligen Vorlieben zugeschnittene regionale Küche. Ebenso so groß wie ihre Ansprüche an die Unterkunft, sei das Interesse der Jugendlichen an Natur- und Kulturerlebnissen – man habe moderne erlebnispädagogische Programme entwickelt, die gut ankommen. Auch Markus Achatz vom Deutschen Jugendherbergswerk bestätigt den deutschlandweiten Boom, zehn Millionen Übernachtung sind es jährlich. "Die Idee der Jugendherbergen ist 111 Jahre alt und beliebter denn je." Sie habe viel mit nachhaltigen Erlebnissen in der Gemeinschaft zu tun, was nachgewiesener Maßen glücklich mache.

Authentizität und echtes Leben vor Ort gewinne bei der Reiseentscheidung an Gewicht, so ein Branchenkenner aus der Runde. Nun müsse auch das Bewusstsein für die ökologischen Kosten noch weiter zunehmen: Wo liegt der Mehrwert einer Reise, wenn ich dafür Treibhausgase produziere? Die touristische Wertschöpfung müsse im Saldo mehr Positives als Negatives bewirken – für Reisende wie für die Gastländer. Dieser Kosten-Nutzenrechnung schließt sich auch der Tourismusexperte Prof. Dr. Harald Pechlaner der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt an. Er fordert, dass bei der Vermarktung von Destinationen der Lebensraum der Menschen im Vordergrund steht und nicht der Tourismus an sich. Die Urlaubsreisenden von heute denken hier bereits um, die Branche müsse daher Alternativen schaffen. Das Fazit der Ammerlander Gesprächsrunde: Die Zukunftsfähigkeit des Tourismus ist aufs engste mit den Wünschen und Bedürfnissen der Generation Z verknüpft.


Text: Stephanie Arns

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